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11.11.2025

«Als Leistungsbezügerinnen waren die zahlenden Gemeinden zu wenig in die Verantwortung eingebunden»

Seit Anfang 2025 läuft die Geschäftstätigkeit der Spitex Vorderland über eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Im Interview erläutert Köbi Frei, Mitglied des Verwaltungsrats und zuständiger Projektleiter, was es braucht, damit eine solche Transformation gelingen kann. Zudem führt der ehemalige Regierungsrat des Kantons Ausserrhoden aus, weshalb die neue Gesellschaftsform der Spitex hilft, Antworten auf sich verändernde Markt- und Finanzierungsbedingungen zu finden.

Text: Eva Zwahlen

 

Köbi Frei, Sie sind «geistiger Vater» und waren zudem Projektleiter der Umwandlung vom Verein in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft. Welche Ziele haben Sie mit diesem Projekt verfolgt?

Ich war vorher bereits gut drei Jahre im Vereinsvorstand und konnte mir so ein vertieftes Bild über die Situation verschaffen. Die bestehende Vereinsstruktur war aus verschiedenen Gründen nicht mehr passend: So waren die verschiedenen Gemeinden als Leistungsbezügerinnen und Restfinanzierende beispielsweise nicht direkt in strategische Fragen einbezogen. Zudem waren die rund 850 Mitglieder über die Mitgliederversammlung kaum mit dem operativen Geschäft verbunden, die Versammlungen glichen daher eher einem «Kaffeekränzli» als der Rechenschaftslegung. Zur Führung eines mittelgrossen Betriebes mit einem Jahresumsatz von 4 Millionen Franken braucht es jedoch vermehrt längerfristig ausgerichtete Strategieentscheidungen zur Ausrichtung der Organisation – diese Perspektive fehlte. Ebenfalls fehlten Vorgaben dazu, wie sich der Vorstand fachlich zusammensetzen soll.

Mit der Gründung der gemeinnützigen Aktiengesellschaft (AG) verfolgen wir daher verschiedene Ziele respektive ergaben sich folgende Meilensteine:

  • Einbindung der Gemeinden[1] als Miteigentümer mit Aktienbeteiligung (je 15'000 Franken)
  • Mitwirkung der Eigentümer an der Generalversammlung (GV) gemäss Obligationen- und Aktienrecht, Wahl des Verwaltungsrats (VR)
  • Erarbeitung und Genehmigung einer Eigentümerstrategie, jährliche Eigentümergespräche
  • Abschluss eines Aktionärbindungsvertrages (ABV), Regelung von möglichen Veränderungen im Aktionariat
  • Zusammensetzung VR nach Eignungskompetenzen
  • Stärkung der Governance durch klare Trennung der operativen Geschäftsführung von der strategischen Ebene (VR)
  • Sicherung der Finanzkraft und Liquidität in einem starken Wachstumsmarkt
  • Anpassungsfähigkeit an veränderte Markt- und Finanzierungsbedingungen, EFAS
  • Sicherheit für die Mitarbeitenden (Anstellungsbedingungen, Rechtssicherheit)

 

Sie sind bislang die einzige Spitex im Appenzellerland, die den Schritt hin zu einer AG gemacht hat. Denken Sie, dass der Verein als Trägerschaftsform ausgedient hat?

Eine Auseinandersetzung mit der Fragestellung halte ich im Einzelfall für prüfenswert. Als ehemaliger Regierungsrat und erfahrender Verwaltungs- und Stiftungsrat fühlte ich mich in unseren Vereinsstrukturen nicht mehr wohl, da die zahlenden Gemeinden zu wenig in die Mitverantwortung eingebunden waren. Den Mitgliedern wiederum waren die strategischen Herausforderungen zu wenig präsent und sie waren sich der finanziellen Risiken zu wenig bewusst.

 

Was braucht es, damit ein solch umfangreiches und anspruchsvolles Projekt gelingt? Welche Rolle spielte dabei die Kommunikation?

Die Kommunikation war Teamarbeit, anspruchsvoll und vielschichtig. So galt es zunächst, den Vereinsvorstand sowie den zukünftigen VR von den Zielen zu überzeugen. Zudem war es uns wichtig, dass wir die Mitarbeitenden periodisch über die Veränderungen orientierten und bei wichtigen Fragestellungen miteinbezogen. Auch die Vereinsmitglieder waren in den Prozess involviert, zudem stellten wir ihnen einen neuen Förderverein in Aussicht. Weiter brauchte es umfangreiche Abklärungen mit verschiedenen Behörden zu den Themen Steuerbefreiung, Gemeinnützigkeit im Kontext von öffentlichen Interessen, Eintragbarkeit im Handelsregister, Vermögensübertragung aus Verein an den Betrieb Spitex Vorderland AG respektive an den neu zu gründenden Förderverein. Und schlussendlich galt es, gemeinsam mit den Eigentümern die Eigentümerstrategie zu definieren.

 

Eine gemeinnützige AG verbindet zwei Vorteile: Die solide Struktur und hohe Glaubwürdigkeit einer Aktiengemeinschaft ermöglicht Zugang zu Kapital. Gleichzeitig bleibt die Gemeinnützigkeit Teil der Unternehmensidentität, was reputationssteigernde Effekte hat. Welche anderen Vorzüge hat eine gemeinnützige AG? Wie profitieren die Klientinnen und Klienten oder die Mitarbeitenden davon?

Für die Mitarbeitenden besteht auf Basis einer längerfristigen Strategie mehr Arbeits- und Vertragssicherheit, insbesondere dann, wenn übergeordnete Regulierungen (EFAS, Pflegeinitiative, Wettbewerb mit privaten Anbietenden) berücksichtigt werden müssen. Zudem haben wir eine bessere Kreditfähigkeit und können das Wachstum einfacher finanzieren. Davon profitieren Klientinnen und Klienten etwa dann, wenn wir die von den Gemeinden (Aktionären) geforderten Leistungen ausbauen, zum Beispiel bei der Nacht-Spitex oder einem koordinierten Unterstützungsangebot.

 

Der Spitex-Vereinsgedanke lebt im Förderverein «Gesundheit Vorderland» weiter. Der neue Verein will sich gemäss Präsidentin Ursina Girsberger für die Gesundheitsversorgung im Vorderland einsetzen. Was muss man sich darunter konkret vorstellen?

Der neue Förderverein[2] will sicherstellen, dass die gesamte Bevölkerung Zugang zu einer ganzheitlichen, bedarfsgerechten und wohnortnahen Versorgung hat. Dafür arbeitet er eng mit den Gemeinden, Fachpersonen und der Bevölkerung zusammen. So kann der Förderverein Lücken in der Versorgung identifizieren, die entsprechenden Gesundheitsakteure in der Region zusammenbringen und die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung fördern. Zudem sollen gezielt auch gemeinnützige Organisationen sowie Pilotprojekte gefördert werden[3].

 

Die Spitex Vorderland feierte unlängst ihr 25-jähriges Bestehen. Sind Sie zuversichtlich, dass Sie mit der gemeinnützigen AG ein zukunftsweisendes Fundament für weitere 25 Jahre legen konnten?

Wir haben uns an einem Strategietag (VR und GF zusammen) intensiv mit der Zukunft der Spitex befasst. Die demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen weisen auf ein starkes Mengen- und Angebotswachstum hin. Darauf sind wir – zusammen mit unseren Mitarbeitenden – gut vorbereitet.

 

Köbi Frei, VR-Mitglied der Spitex Vorderland
Ehemaliger SVP-Regierungsrat Kanton Ausserrhoden

https://www.spitex-vorderland.ch

 

Weitere Beiträge zur «Spitex im Wandel» finden Sie hier.

 


[1] Heiden, Walzenhausen, Reute, Lutzenberg, Wolfhalden, Grub, Rehetobel und der Kanton Appenzell Innerrhoden für den Bezirk Oberegg

[2] https://www.fgv-ar.ch

[3] https://www.heiden.ch/aufwind

 
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